Häufig gestellte Fragen zur Gebärdensprache

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Das Wort "deaf" (engl. für gehörlos) wird manchmal mit großem und manchmal mit kleinem Anfangsbuchstaben geschrieben. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?

Im Bereich der Gehörlosenstudien verweist die Verwendung eines großen "D" im Wort "Deaf" auf die Zugehörigkeit zur Gruppe der Gehörlosen und die Nutzung einer indigenen Gebärdensprache als erste oder bevorzugte Sprache. Das Wort "deaf" mit kleinem "d" bezeichnet Menschen, bei denen ein Hörverlust medizinisch festgestellt wurde, die sich aber möglicherweise nicht als Mitglieder der Gehörlosengemeinschaft sehen und auch keine indigene Gebärdensprache nutzen. (siehe “Signed Languages in Education in Europe – a preliminary exploration”, Lorraine LEESON, Dublin. Europarat 2006)

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Sind alle Nutzer von Gebärdensprache gehörlos oder schwerhörig?
Nein. Kinder von Gehörlosen können häufig auch Gebärden; sie lernen als erste Sprache die Gebärdenmuttersprache ihrer Eltern, bevor sie sprechen lernen. Zudem lernen auch die Eltern und Geschwister von gehörlosen Kindern die Gebärdensprache, um die Kommunikation zu erleichtern. Es gibt auch Menschen, die in ihrer Freizeit die Gebärdensprache erlernen, entweder für ihre Freunde oder weil sie Dolmetscher werden wollen oder einfach aus Interesse an der Sprache.

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Gibt es weltweit nur eine Gebärdensprache?
Nein, es gibt zahlreiche Varianten. Tatsächlich kann es in einem Land mehr als eine Gebärdensprache geben, so wie dies auch bei gesprochenen Sprachen der Fall ist. Beispielsweise gibt es zwei Gebärdensprachen in Belgien (französisch-belgische Gebärdensprache und flämische Gebärdensprache) und in Spanien (spanische Gebärdensprache und katalanische Gebärdensprache). Auch gibt es unterschiedliche Gebärdensprachen in Ländern, in denen die gleiche Sprache gesprochen wird, z. B. in Großbritannien und Irland. Das hängt mit der historischen Entwicklung zusammen, die sich von der Entwicklung der gesprochenen Sprachen unterscheidet.

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Gibt es bei Gebärdensprachen (wie bei gesprochenen Sprachen, z. B. romanische und slawische) Sprachfamilien, die ein gegenseitiges Verstehen ermöglichen?
Ja, es gibt Sprachfamilien bei Gebärdensprachen. Beispielsweise wird die österreichische oder niederländische Gebärdensprache besser von Menschen verstanden, die die deutsche Gebärdensprache können, als von jemandem, der die italienische Gebärdensprache kann. Dagegen unterscheidet sich die britische Gebärdensprache deutlich von den anderen europäischen Gebärdensprachen und ist lediglich mit der australischen Gebärdensprache verwandt.

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Gibt es eine internationale Form der Gebärdensprache, die als Lingua franca gelten könnte?
Es gibt ein internationales Kommunikationsinstrument, das sog. Internationale Gebärden (International Sign, IS). Es wird regelmäßig bei internationalen Konferenzen und bei Diskussionen mit Teilnehmern, die nicht die gleiche Gebärdensprache verwenden, eingesetzt. Diese Hilfssprache wird tatsächlich von Gebärdenden aus unterschiedlichen Ländern als Lingua franca genutzt, auch in spontaner Konversation. Allerdings ist sie nicht vergleichbar mit Esperanto, da es sich bei IS nicht um eine Sprache im eigentlichen Sinne handelt. Sie hat keine feste Grammatik und keinen festen Wortschatz und basiert vor allem auf Gesten, die nur im jeweiligen Kontext eine spezielle Bedeutung haben, und greift auf Wörter aus der Muttersprache des Gebärdenden zurück. Das heißt, dass die Gebärden erklärt werden und häufig mehr als eine Gebärde verwendet wird, um einen Begriff zu beschreiben und so das Verständnis sicherzustellen.

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Stellen Gebärdensprachen lediglich gesprochene/geschriebene Wörter dar?
Nein. Sie sind richtige Sprachen mit eigener Grammatik und Syntax. Wie bei anderen Sprachen auch, gibt es Redewendungen, die sich schwer übersetzen lassen, und für einige Wörter/Gebärden gibt es keine wörtliche Übersetzung in einer anderen (Gebärden-)Sprache.

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Hat jede Sprache ihre standardisierte Form des Gebärdens, und existieren wie bei gesprochenen Sprachvarianten verschiedene "Dialekte"?
Es gab Versuche, die Gebärdensprachen in Europa zu standardisieren. Wie bei gesprochenen Sprachen auch blieben diese Versuche erfolglos, so dass es immer noch Dialekte gibt. Das hängt auch mit den Gehörlosenschulen in verschiedenen Landesteilen zusammen, an denen ganz bestimmte Gebärden verwendet werden, die die Kinder dann verbreiten. Häufig unterscheiden sich die Gebärden für die Wochentage und Monate sowie auch die für Farben.

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Wie viele Menschen in den Mitgliedstaaten des Europarats nutzen Gebärdensprachen?
Das ist schwer zu sagen. In den einzelnen Mitgliedstaaten gibt es keine verlässlichen Statistiken. Einer Schätzung für die Europäische Union zufolge gibt es 750.000 Gehörlose, die Gebärdensprache nutzen. Im Durchschnitt sind etwa 0,1 % der Gesamtbevölkerung eines Landes gehörlose Nutzer von Gebärdensprache. Ausgenommen sind hier Menschen, die eine Gebärdensprache als zweite Sprache lernen, und Kinder gehörloser Eltern sowie andere Familienangehörige. Beispielsweise gibt es in Finnland schätzungsweise 5000 Gebärdende, in Frankreich 100.000 und in Rumänien zwischen 20.000 und 30.000.

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Bezieht sich der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, Lehren, Beurteilen (CEFR) des Europarats, den es in über 35 Sprachen gibt, auch auf die Gebärdensprachen?
Das französische Bildungsministerium hat einige Teile des CEFR (französische Fassung) für die französische Gebärdensprache aufbereitet, besonders hinsichtlich der Referenzniveaus und Deskriptoren.

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Gibt es eine Möglichkeit, Gebärdensprachen zu transkribieren?

Ja, Gebärdensprachen können auf verschiedene Art und Weise transkribiert werden. Eine Standardtranskription für Gebärdensprachen gibt es nicht, aber häufig wird das Hamburger Notationssystem (HamNoSys) verwendet, das bestimmte Symbole nutzt, um Handform und Bewegung einer Gebärde darzustellen. Ein anderes, ähnlich funktionierendes System ist SignWriting. Außerdem wird oft mit Erläuterungen gearbeitet, indem Gebärden in groß geschriebene Wörter übersetzt und Gesichtspiktogramme und grammatikalische Informationen über oder vor dem Wort ergänzt werden. Weitere Informationen gibt es im Internet unter: http://www.signwriting.org/, Cambridge (Kapitel Conventions) und http://www.sign-lang.uni-hamburg.de/projects/hamnosys.html.

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Wo kann ich weitere Informationen über Gebärdensprachen finden und wie kann ich eine lernen?

Am besten wenden Sie sich an den Gehörlosenverband in Ihrem Land, um herauszufinden, wo Gebärdensprachkurse stattfinden, und um mehr über die Gebärdensprache Ihres Landes zu erfahren. Informationen zu allen Gehörlosenverbänden in der EU gibt es im Internet auf der Website des Europäischen Gehörlosenverbandes (European Union of the Deaf, EUD): http://eud.eu/EUD_Members-i-159.html (Karte). Weitere Informationen sind auch auf der Website des Internationalen Gehörlosenverbandes zu finden: http://www.wfdeaf.org/members/ordinary-members/list-of-members.

Wir bedanken uns bei Mark Wheatley und Annika Pabsch vom Europäischen Gehörlosenverband EUD (www.eud.eu) für ihren wertvollen Beitrag zu diesem Kapitel.